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Was ist das Besondere am deutschen Design?

Ein Gespräch mit dem Museumsdirektor Hufnagl

Herr Hufnagl, die Ausstellung „Weltmeister – Design Deutschland” findet parallel zur Fußball-WM statt. Wenn Sie einem Fan aus Brasilien erklären müssten, was deutsches Design ist…

… dann würde ich ihm sagen, dass es für perfektes Funktionieren steht, für Sachlichkeit und Reduktion. Deutsches Design schreit nur selten laut. Es drängt sich nicht auf, es will hochwertig und praktisch sein.

Können Sie uns ein Beispiel nennen?

Da könnte man die fünf Milliarden Mal produzierte Mineralwasserflasche des Industriedesigners Günter Kupetz nennen. Die Flasche ist funktional gestaltet und im Vergleich mit der Coca-Cola-Flasche eher sachlich. Die noppenähnliche Struktur im verschlankten Mittelteil der Flasche soll zwar ein Sprudeln signalisieren, zugleich erfüllt sie die Funktion, die Flasche grifffest zu machen. Sie wird nicht aus der Hand rutschen, auch wenn sie feucht ist. Das ist das, was ich meine: Reduktion auf Funktion.

Woher dieser Hang zur Nüchternheit?

Nach dem Krieg wurde das hiesige Design fast ausschließlich von der Hochschule für Gestaltung in Ulm bestimmt. Dort wurde großer Wert auf gestalterische Zurückhaltung gelegt. Salopp ausgedrückt, stand „Made in Germany” lange Zeit für den „rechten Winkel” und das „feurige Mausgrau”. Die Gestalter, die aus Ulm kamen, arbeiteten bei Siemens und bei Braun und setzten dort die Standards für die nächsten Jahrzehnte. In Ulm wurde auch definiert, dass sich „technische Kompetenz” durch die Farbkombination Schwarz und Silber auszeichnet. Das finden wir heute immer noch bei vielen elektronischen Geräten. Mittlerweile hat deutsches Design diese Nüchternheit allerdings ein wenig abgeschüttelt. Es gibt eine immer stärkere, sichtbare Emotionalisierung.

Ist das so?

Die Automobilindustrie nimmt hier eine Vorreiterrolle ein. Schauen Sie sich nur die Fahrzeuge von Porsche an. Anders als früher zeigen die Wagen heute auch äußerlich ihre Power. Aber auch das Design der letzten Modellreihen von Audi, BMW und Mercedes ist deutlich sinnlicher als früher. Die Emotionalisierung des deutschen Designs ist damit zu erklären, dass viele Unternehmen heute global vernetzt sind. Man reagiert auf die Bedürfnisse eines internationalen Marktes. Zudem entwickeln auch ausländische Designer deutsche Produkte.

Wird es irgendwann nur noch ein internationales Design geben?

Nein, dazu unterscheidet sich das Lebensgefühl der Deutschen und beispielsweise der Italiener zu sehr. Wenn Sie in Italien eine Möbelmesse besuchen, ist das ein Event. Dazu gehören immer auch Essen und Musik. In Deutschland ist eine Möbelmesse nur eine Möbelmesse. Die Sinnlichkeit der Italiener und die Sachlichkeit der Deutschen werden sich nie völlig angleichen.

Wenn umgangssprachlich das Attribut „Design” verwendet wird, meint man damit meist, dass es sich wie bei der Designerjeans um etwas Teures handelt. Hat die Designer-Zunft ein Imageproblem?

Durch die inflationäre Verwendung des Wortes ist bei vielen Menschen tatsächlich ein falsches Bild entstanden. Entschuldigen Sie, aber ein Friseur bleibt ein Friseur. Und ein „Hair Designer” ist nicht nur eine grauenvolle Wortschöpfung, sondern auch inhaltlich Schwachsinn. Ein Designer ist ein Formgeber. Er gestaltet Produkte, formt die Welt. Das wird meist vergessen: Nicht nur die Designercouch, jedes industriell gefertigte Produkt, das es gibt, wird gestaltet. Gutes Design muss nicht teuer sein.

Was zeichnet gutes Design aus?

Der Altmeister des italienischen Designs, Ettore Sottsass, hat auf die Frage, was Design ist, mal mit einer Handbewegung geantwortet. Er hat auf den Bereich unterhalb der Gürtellinie gezeigt, dann auf sein Herz und auf seinen Kopf. Gutes Design spricht alle Sinne an: den Verstand, das Herz und natürlich auch den Sex. Design vor allem die Funktionalität erhöhen. Nehmen Sie die Ceran-Kochplatte. Hitze ist eigentlich nicht sichtbar. Aber die Platte leuchtet rot, wenn sie in Betrieb ist, damit die Menschen wissen: „Feuer! Es ist heiß.” Gutes Design sollte auch dafür sorgen, dass ein Produkt lange hält. Es kann aber auch nur schön sein. Nehmen Sie nur den iPod. Die Technik würde es erlauben, ihn deutlich kleiner zu machen, aber das ist gar nicht gewollt. Am iPod zeigt sich die aus wirtschaftlicher Sicht wichtigste Funktion von Design. Und die wäre? Das Design schafft ein Alleinstellungsmerkmal, erst durch sein Design unterscheidet sich der iPod von der Konkurrenz. Ein Unternehmen braucht allerdings Mut, um so ein Alleinstellungsmerkmal zu entwickeln. Nicht alles, was einzigartig ist, kommt auch beim Kunden an.

Wann droht der Flop?

Design geht immer dann in die Hose, wenn es zu aggressiv wird oder nicht zum Produkt passt. Ein Flachbildschirm, der wie ein Ufo aussieht, wird keine große Zielgruppe erreichen. Gleiches gilt für einen Sportwagen, der total sachlich ist. Aber es gibt auch Produkte, die einfach nur ihrer Zeit voraus sind.

Zum Beispiel?

Den „Wassily”-Stuhl. Der Bauhaus-Gestalter Marcel Breuer hat ihn Mitte der zwanziger Jahre entworfen. Aber niemand wollte den Stuhl kaufen. Erst mehr als vierzig Jahre später ist er zu Weltruhm gelangt, als ein italienischer Möbelhersteller ihn neu auflegte. In den zwanziger Jahren war der Stuhl noch zu weit entfernt von den damaligen Formvorstellungen. Erst in den sechziger Jahren war die Zeit reif für Breuers minimalistische Konstruktion aus Stahl und textiler Bespannung.

Was braucht ein gestaltetes Objekt, um zum Klassiker zu werden?

Für ein industrielles Produkt ist es heute wahnsinnig schwer, zum Klassiker zu werden. Denn dazu muss es die Zeit überdauern, uns lange begleiten. Die Zyklen, in denen etwas produziert und von uns benutzt wird, werden jedoch immer kürzer. Wie lang stand ein Siemens-Telefon früher in den deutschen Wohnungen? Und wie lange behalten Sie heute ein Handy?

Ist gutes Design auch Kunst?

Nein, Design ist Design und Kunst ist Kunst. Dabei sollte man es belassen. Gemein ist beiden, dass sie aus dem Gestaltungswillen des Menschen heraus entstehen. Aber Kunst ist frei und niemandem verpflichtet. Design ist ohne die Verpflichtung gegenüber einem Auftraggeber nicht vorstellbar. Das ist der Unterschied. Ebenso wie die Kunst ist das Design aber auch ein Spiegel der Gesellschaft, in der wir leben.

Was verrät uns die Ausstellung „Weltmeister – Design Deutschland” über unser Land?

Die Deutschen neigen ja dazu, sehr miesepetrig zu sein und ängstlich in die Zukunft zu blicken. Aber diese Ausstellung zeigt, dass dazu überhaupt kein Grund besteht. Von der Kinder-Schokolade über die Handkehrmaschine von Kärcher bis zur Stapelliege von Rolf Heide – es gibt nur wenige andere Länder, die in einer solchen Ausstellung von Alltagsgegenständen ein solch breites Spektrum auf so hohem Niveau zeigen können. Viele dieser Entwürfe sind nicht nur deutsche Standards, sie setzen auch international Maßstäbe.

Professor Florian Hufnagl ist Direktor der Neuen Sammlung, Staatliches Museum für angewandte Kunst der Pinakothek der Moderne in München.

Quellen

AK Weltmeister Designdeutschland. Hg. vom “Haus der Gegenwart gGmbH, München 2006

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